Marianische Männerkongregation

Freising

Sonntag, 06. Februar 2011

Predigt zum Hauptfest 2011

geschrieben von 
Predigt zum Hauptfest am 06.02.2011 von Zentralpräses der MMC-Regensburg, H.H. Dekan Thomas Schmid
...weil er die hungernde Seele mit seinen Gaben erfüllt (PS 107,9b)

... DIE HUNGERENDE SEELE UNSERER ZEIT

Liebe Schwestern und Brüder,
geschätzte Sodalen der Marianischen Männer Congregation!

Da steht sie vor mir und hält ein Buch in der Hand, das ihr beim Umräumen des Hauses zufällig wieder in die Hand gefallen ist. Geschunden und ramponiert, verschmutzt und vergilbt liegt es vor uns auf dem Tisch, die Buchdeckel hinten und vorne gebrochen und mit Stofffetzen und einer weißen Masse, die aussieht wie Mehlteig, notdürftig zusammengeklebt. Schweigend blättert die Ordensfrau vorsichtig und mit spürbarer Ehrfurcht in diesem alten Gebetbuch. Und nach einer Weile erzählt sie mir, warum ihr dieses Buch so kostbar und wertvoll ist. Man sieht in ihren Augen und in der ganzen Haltung, wie sie in ihrer Erinnerung an jenen Tag ihres Lebens zurückwandert, an dem sie dieses fast unansehnliche Buch geschenkt bekam.

Sie war damals noch ein junges Mädchen als sie an einem Samstag in der früh ihr schönstes Kleid anziehen durfte, um mit dem Vater zusammen auf dem Rad in ein nahegelegenes Dorf zu fahren. Zu Hause wusste sie noch nicht, was diesen Tag so besonders machte, aber irgendetwas - so sagt sie - musste ja besonders gewesen sein! Und kurze Zeit später erlebte sie es mit, was diesen Tag zum Feiertag machte. Am Dorfrand stand ein großer Bogen mit Tannenzweigen und Blumen geschmückt. Daneben wehte die Fahne im leichten Wind. Ein paar Musiker warteten darauf spielen zu dürfen und Spannung lag in der Luft. Sie stellten ihre Räder ab und die heutige Ordensfrau durfte damals mit ihrem Vater in die erste Reihe der wartenden Menschen vortreten. Dann kam eine Kutsche, in ihr saß ein abgemagerter Mann in sehr schlichtem Gewand, ein wenig zurechtgemacht und seine Hände umschlossen ein Buch mit festem Griff. Die Kutsche blieb unter dem Bogen stehen, der Vater der heutigen Ordensfrau ging mit offenen Armen und immer schneller auf den Mann in der Kutsche zu und ließ ihn, unter dem Beifall aller Anwesenden und bei den Tönen der Blaskapelle in seine Arme fallen. Jetzt begriff das damalige Mädchen: Das ist jener Onkel, von dem der Vater immer wieder gesprochen hat, sein Bruder, der immer noch irgendwo in Kriegsgefangenschaft war und auf dessen Heimkehr er so sehnsüchtig wartete. Jetzt war der Tag der Heimkehr gekommen und man bereitete dem Heimkehrer einen herzlichen Empfang. „Sehr beeindruckend war diese Begegnung unter dem Triumpfbogen am Dorfeingang", erzählte mir die Ordensfrau, „aber was dann kam vergesse ich nie mehr". Man zog jetzt nämlich nicht als erstes zur Feier beim Wirt oder zum Elternhaus. Der erste Weg des ganzen Dorfes führte jetzt in die Mitte des Heimatdorfes: in die Kirche. Auch sie war geschmückt und vorne vor dem Hochaltar an den Stufen stand eine Kniebank mit rotem Tuch belegt. Der Pfarrer stand da vorne beim Altar, sonst war noch niemand in der Kirche. Ich - so die heutige Ordensfrau - ich durfte mit meinem Onkel, an seiner Seite durch den Mittelgang nach vorne gehen. Ich blieb stehen, mein Onkel fiel auf die Knie und begann mit einem leuchtend frohen Gesicht schluchzend zu weinen. Nach einiger Zeit sangen alle das Te Deum, das „Großer Gott wir loben dich"! Und dabei drehte mein Onkel sich zu mir um, nahm meine Hand, legte dieses alte zerschundene Gebetbuch in meine Hand und sagte: „Nimm das, ich schenk es dir! Heb es dir gut auf! Es ist so wertvoll! Es hat so oft mein Heimweh gestillt und mich wieder in die Heimat gebracht!"

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Sodalen,

die Geschichte dieses Buches, das so oft Heimweh gestillt und in die Heimat geführt hat, sie hat mich noch eine ganze Zeit beschäftigt und zum Nachdenken angeregt!

  • Da war einer im Krieg voller Angst und Bedrängnis, voller Leid und Tod und darf heimkehren in den Frieden und ins Leben.
  • Da war einer in der Verlorenheit der weiten Welt, allein und manchmal so einsam und darf heimkehren in die Geborgenheit und in herzlich offene Arme.
  • Da hat einer heillos kriegerisches Durcheinander erleben müssen und legt seine ganze Sehnsucht nach Orientierung in seine Gebete, oft und oft aus seinem Buch zu Gott empor geschickt.
  • Da war einer in der Ferne gefangen und darf jetzt in der Heimat Befreiung erleben.
  • Da erlebte ein Mensch, wie sehr die Seele hungern kann, mehr noch als der Leib wie große die Sehnsucht nach dem Leben und der Liebe sein kann, wie tiefes Heimweh die Kraft geben kann am Ende doch wieder in den Frieden des Herzens zurückzukehren.

Es hat mich tief beeindruckt dieses Heimweh, diese Sehnsucht nach Heimat, die dieser Mann in der Ferne gleichsam in sein Gebetbuch gelegt hat und daheim in der Kirche, im Vaterhaus des beschütz enden und bergenden Gottes ablegen durfte.

Es hat mich so beeindruckt, von jener Ordensfrau so überzeugend zu hören, wie lebensnotwendig es ist, Heimweh zu spüren, sich von der hungernden Seele in offene Arme liebender Menschen, sich in die Gemeinschaft herzlicher Freunde, sich ins Vaterhaus Gottes, in die Heimat des Glaubens ziehen und tragen zu lassen.

Und da, liebe Schwestern und Brüder, da war ich dann gedanklich auch ganz schnell aus der Ver gangenheit in die Gegenwart gekommen, angekommen bei den Ängsten so mancher Menschen unserer Tage, angekommen in der Verlorenheit, die man erlebt, bei der Ferne und Kälte, die unter Menschen herrscht, bei der Undurchschaubarkeit modernen Lebens, die oft nur stillschweigend aber tief nach Orientierung hungert.

Da war ich in Gedanken schnell aus der Vergangenheit in die Gegenwart gekommen und wünschte mir, dass viele Menschen, die heute mit hungernder Seele leben, Heimweh spüren, Heimweh nach Menschen und nach Gott, Heimweh nach dem Leben im Frieden des Herzens.

Und ich wünschte mir genauso stark, dass wir, die Gemeinschaft der Kirche und im Kleineren die Gemeinschaft der Marianischen Männer Congregation es weiterhin oder wieder überzeugend schaffen, die Arme weit aufzutun und einzuladen in die vertraute Heimat in der Kirche, in die liebevolle Heimat bei Gott.

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Sodalen,

wir alle spüren doch den Hunger der Seelen in unserer Zeit. Wir wollen uns aber nicht fangen lassen von einer Art, die die Verantwortung immer nur anderen zuschiebt und die Handlungsbedarf immer nur bei anderen sieht. Schauen wir doch auf uns selbst. Fragen wir uns doch, wo wir den Menschen mit hungernder Seele in unserer Nähe einen einladenden Bogen der Hoffnung, der Zuversicht der Geborgenheit schlagen, ob, wo und wie wir sie einladen, in die Heimat der Kirche, in der man wieder klar bekommt, wo man herkommt und wo man hingehört, wo man festen Boden unter die Füßen bekommt, in dem man seine Wurzeln tief verankern und sich aus den Quellen der Erinnerung Wasser des Lebens ziehen kann.

Machen wir durch unser eigenes Reden und Tun die Kirche zur Heimat für viele, deren Seele hungert, ohne genau zu wissen wonach. Salz der Erde und Licht der Welt sollen wir sein. Und wenn wir erleben, dass so manche Seele unter Heimatverlust schmerzt, weil sie sich sagen muss: „Warum reden, wenn keiner verstehen will, was ich aus tiefsten Inneren zu sagen versuche?" - Warum sind es denn dann nicht wir, die zuhören, zureden und mitgehen, hin zum Herrn? -

Wenn sich manche so verloren fühlen im Sog der Flexibilisierung und im Druck der Globalisierung , wenn immer mehr den Eindruck haben, dass sie nur gebraucht aber nicht verstanden werden, sollten es da nicht wir sein, die das ehrliche Gefühl verschenken: Heimat ist dort, wo man eine verständliche, wo man meine Sprache spricht, wo man mich versteht und wo ich mich verstanden weiß? Wie schön und christusentsprechend es doch wäre, wenn wir Christen im eisigen Gegenwind des oft so fremdgesteuerten Alltags hungernden Seelen Geborgenheitsnischen auf dem Lebensweg eröffnen dürften, in denen sie Kraft tanken können, um dann umso standhafter der Zeit die Stirn zu bieten."

Wie fromm, also wie guttuend wäre das für unsere kleine Welt in der wir leben, wenn wir ihr die Türen der Kirche öffnen dürften, um ihr zu zeigen: Heimat ist auch ein Ort, der erfüllt ist vom Gefühl der Zugehörigkeit! Da bin ich nicht allein gelassen, da gibt es geliebte und liebende Menschen, da finde ich mitfühlende und freundschaftlicher Verbundenheit, solidarische Ansprechpartner, starke Freunde, offene Ohren und Herzen. Es ist doch so wichtig für den Menschen von heute in seiner gehetzten Welt zu wissen, wo er hingehört. Wie heilsam wäre es, wenn wir so überzeugend wäre, dass viele bei uns und mit uns, in unserer Kirche, immer wieder zu sich selbst heimkehren könnten Innehalten und so auch Widerstand zeigen gegen den rasenden Wandel der Zeit und Welt.

Liebe Schwestern und Brüder, Liebe Sodalen,

der Heimkehrer von damals, der mittlerweile längs seine ewige Heimat erreicht hat, er hat mich angesteckt mit seinem Suchen nach Heimat, mit seinem Heimweh nach der tragenden Gemeinschaft gutherziger Menschen, nach seiner Kirche, was nicht nur das Gebäude meinte und nach dem himmlischen Vaters in seinem irdischen Haus.

Sein zurückgelassenes Gebetbuch hat mich angesprochen und ermutigten, unsere Welt und die Menschen wieder fester zu halten in meinen betenden Händen.

Der Heimkehrer von damals hat mir heilsames Heimweh ins Herz gelegt, ohne dass er es weiß. Gebe Gott, dass dieses Heimweh nie erlischt.

Und das wünsche ich auch der MMC Freising und uns allen:

Dass die Sehnsucht nach unserer Heimat in der unsagbaren Liebe Gottes nie erlischt und dass wir als seine Kirche und als Marianische Männer Congregation eine Liebenswürdigkeit wahren oder wieder erlangen, die uns anziehend macht. - Als Christen, als Kirche Gottes haben wir eine Antwort auf die „boomende Sehn-sucht" unserer Zeit: Jesus Christus. Wenn wir das nicht vergessen, sondern mutig und lebensnah verkünden, dann darf es irgendwann auch wieder heißen:

„Die Sehnsucht ist das Gedächtnis der Liebe. Die Sehnsucht boomt, die Kirche lebt! Danket dem Herrrn für seine Huld, für sein wunderbares Tun an den Menschen, indem er die hungernde Seele mit seinen Gaben erfüllt. Amen."